Am Anfang steht das Jagen. Es setzt Ausdauer, Geduld, Kontrolle, Können sowie eine Balance aus Kenntnis und Intuition voraus. Gleichermaßen von Bedeutung, nur seltener im Fokus, ist der anschließende Umgang mit dem Erbeuteten, werden dabei richtungsweisende Entscheidungen und bedeutungsvolle Aussagen getroffen – sowohl über das Erjagte wie auch die Erjagenden. Eine nähere Betrachtung von Salla Kuhmos Kunst vermag dies in exzellenter Weise zu veranschaulichen.
Die Jagd als Prozess und Gedankenfigur durchzieht das Werk der aus Nordfinnland stammenden Künstlerin konkret wie auch metaphorisch gedacht von den Anfängen an; inspiriert durch das Erleben der
Jagd in ihrer Kindheit und Jugend. Die dabei erlernten Praktiken hat sie in ihre Kunst übertragen, adaptiert und reflektiert. Als Jagdinstrument dient ihr die Kamera,
mit der sie Motive festhält, die sie reizen, interessieren. So entsteht – eine Art Bilder-Trophäensammlung? Vielleicht, aber doch sind diese Bilder vor allem zu begreifen als Archiv, Magazin oder
Impulsgeber, denn mit dem „Schuss“ endet diese Form von Jagd nicht. Er ist vielmehr erst als eine Art zweiter Auftakt zu begreifen. Denn die erjagten Bilder stellen nicht das „Endprodukt“ von
Salla Kuhmos Kunst dar, sondern bilden die Grundlage eines intensiven künstlerischen Arbeitsprozesses – sie isoliert Teile der Aufnahmen, überträgt sie in das Medium der Zeichnung, stilisiert sie
dabei graphisch, setzt einzelne Elemente neu zusammen, kombiniert die Bilder untereinander, mischt sie mit anderen künstlerischen Ausdrucksmedien wie Malerei und graphischen Techniken, oder auch
Alltagsgegenständen. Aus diesem Transformationsprozess erwächst so nicht nur das eigentliche Kunstwerk, auch inhaltlich betrachtet bildet er ein Kernstück von Salla Kuhmos Kunst.
Formal zeigt diese sich vielgestaltig, reicht von kleinformatigen Objektarbeiten zu Raum- und Wandinstallationen und erprobt Malerei, Zeichnung, Graphik, Fotografie, Licht.
Häufig erscheinen diese verschiedenen Gattungen, Medien und Techniken neben- und miteinander, werden zu einer Einheit verwoben, in der sie trotzdem auch für sich stehen.
Salla Kuhmo verbindet spielerisch Gegensätzlichkeiten und Gleiches, woraus sich eine sehr eigene, anspruchsvolle Formensprache ergibt.
Als allen Gestaltungselementen gemeinsam lässt sich eine starke Konzentration auf graphische Ausdrucksmittel beobachten. Zum einen bildet die Kontur bzw. Umrisslinie, die den Gegenstand definiert
und formt, zum anderen die Farbe, begriffen als Fläche gleichwie als Ausdrucksträger, einen elementaren Interessenschwerpunkt von Salla Kuhmos Kunst. Bezeichnend sind die Perfektion und die in
hohem Maße ästhetische Behandlung, die sie diesen Elementen Form, Linie und Farbe zukommen lässt. So muten ihre Arbeiten letztlich auch bei einer größeren Fülle an Bildkomponenten im Kern klar
und reduziert an. Dies mag an das Design ihrer finnischen Heimat denken lassen, oder aber – insbesondere eingedenk ihrer „hybriden“ Bildpraktiken,
die diverse traditionelle bildkünstlerische Verfahrensweisen mit denjenigen der Alltagskultur verschmelzen – an die Arbeiten der US-amerikanischen Pop und Minimal Art.
So formschön die Kunst Salla Kuhmos ist: Sie rein unter ästhetischen und gestalterischen Aspekten zu betrachten, greift weit zu kurz. Von gleichsam entscheidender Bedeutung erweist sich ihr
gesellschaftskritisch motivierter Inhalt. Die Jagd, mal implizit, mal explizit ins Bild gesetzt, wird als Metapher für das Konsumverhalten der zeitgenössischen Industriekultur begriffen. Der
Reiz, den die in immer höherem Maße perfektionierten, ästhetisierten Konsumgüter ausstrahlen und den ihre erbarmungslos professionelle Vermarktung suggeriert, wird in der Formensprache der
Arbeiten aufgegriffen, unter anderem in ihrer bestechenden Ästhetik. Diese Verlockungen dringen bis in die scheinbar unberührten Naturwelten ein,
die Salla Kuhmo beispielsweise, inspiriert durch ihre Kindheitserfahrungen in Finnland,
in der Arbeit Locus Amoenus kreiert.
Gleichermaßen aber werfen die Werke die kluge Frage auf, ob wir nur die Jäger dieser begehrten, materiellen Objekte sind, oder letztlich gleichermaßen die Gejagten. Dies wird durch formale wie
inhaltliche Brechungen und Überspitzungen erwirkt; bisweilen laut und provokant wie in den Objektarbeiten, bisweilen leise und subtil wie in manchen Installationen.
Ferner werden Gegensätze verschmolzen, inhaltliche Ambivalenzen und Spannungen geschaffen. Die Künstlerin möchte so ein neues Neben- und Beieinander scheinbar komplementärer
Inhalte schaffen, einen Ausweg aus dem Konsumzwang und der damit einhergehenden Ressourcenverschwendung der heutigen Zeit bieten.
Keine Jagd mehr, kein Treiben bzw. Getriebensein, sondern ein Innehalten,
Nachdenken, und Genießen.
Text: Dr. Bettina Kunz, Juli 2021