Salla Kuhmo. Künstliche Landschaften – Natur, Kunst und KI
„Hast du Lust, heute Abend mit zu Sallas Ausstellung zu kommen?“ fragte mich meine Kollegin Barbara Six vor fast 14 Jahren als frischgebackene Volontärin an der Staatsgalerie Stuttgart. Dass Salla Kuhmo Kunst macht, war mir zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt; ich hatte die junge, ausnehmend sympathisch wirkende Kollegin bislang nur flüchtig als Leiterin eines Projekts der Kunstvermittlung der Staatsgalerie kennen gelernt. So betrat ich an einem dunklen Abend im November, ziemlich müde und abgeschlagen nach einem langen Arbeitstag, gespannt das Galerienhaus in Stuttgart West. Dort fand ich mich filigranen Wandinstallationen gegenüber, gepaart mit geheimnisvoll anmutenden Siebdrucken, die fotografische Motive von Natur und Menschen aus Finnland in stimmungsvollen Farbklängen auf sehr besondere Weise miteinander vermischten. Daneben gab es leuchtend farbige Siebdrucke zum Thema Werbung und Konsum zu sehen, die mich stark an Andy Warhols Arbeiten aus den 1960er-Jahren denken ließen, über die ich damals promovierte. Diese Assoziation war tatsächlich so intendiert; die Faszination für Warhols frühe Arbeiten verbindet Salla Kuhmo und mich bis heute. Deshalb habe ich mich sehr gefreut, unter den Werken, die in dieser Ausstellung der Galerie Uli Lang in Biberach zu sehen sind, mit Andys Choice eine kleine Hommage an den New Yorker Künstler zu finden.
Um aber auf die Ausstellung im Galerienhaus und meine erste Begegnung mit Salla Kuhmos Kunst zurückzukommen: Dass Salla Kuhmo aus Finnland stammt, fand ich ausnehmend reizvoll. Ich war wenige Jahre zuvor in Finnland gewesen und hatte mich sehr für die freundlichen Menschen, die nahezu alles beherrschende schöne Natur und nicht zuletzt für finnisches Design begeistert – das sich durchaus von dem uns viel vertrauteren dänischen oder schwedischen Design unterscheidet, obwohl selbstverständlich wechselseitige Bezüge bestehen. In mein ästhetisches Gedächtnis eingeprägt haben sich bunte, warme, vibrierende Farben; schlichte, elegante Formen; geometrische und ornamentale Muster, mal streng und mal verspielt gestaltet; ferner Produkte, die ästhetisch und materiell von allerhöchster Qualität und Perfektion sind. Diese Eigenschaften spiegeln sich auch in Sallas Kuhmos Kunst wieder; Finnland als Folie ihrer Kindheit und Jugend hat sich nicht nur in der Wahl ihrer Themen niedergeschlagen, wie zuvor angedeutet, sondern auch in der Formensprache ihrer Arbeiten.
Die Themenfelder, die ihre Kunst berührt, sind seit der Ausstellung im Galerienhaus 2010 geblieben: Natur, insbesondere der Wald, und dazu in Relation gesetzt der Mensch; außerdem Jagd, Konsum,
und Selbstdefinition. Bei dieser thematischen Stringenz können unterschiedliche Akzentsetzungen und Verschiebungen beobachtet werden. Außerdem gab es eine Erweiterung um ein aktuelles,
gesellschaftlich sehr kontrovers diskutiertes Element, das in den Titel dieser Ausstellung eingeflossen ist: Künstliche Intelligenz. Im Sommer des vergangenen Jahres hat Salla Kuhmo dieses
digitale Medium erstmals bei der Kreation einer Landschaft eingesetzt, die sie für den Bund Bildender Künstler geschaffen hat. Im Rahmen dieser Ausstellung ist das Werk auch zu sehen, sowie – auf
diesem Experiment aufbauend – mit KI generierte Landschaften von Schüler*innen aus Salla Kuhmos Leistungskurs Bildende Kunst des Wieland-Gymnasiums Biberach. Auf meine Frage, ob sie KI weiter in
ihren künstlerischen Schaffensprozess einbeziehen möchte, äußerte Salla Kuhmo sich zunächst etwas zögerlich und unentschieden. Kurze Zeit später aber informierte sie mich, durchaus weiter mit KI
experimentieren zu wollen – wir können also schon gespannt auf die nächste Ausstellung sein...
Zurück aber zur aktuellen Schau und den hier gezeigten Arbeiten: Die Ausstellung präsentiert Siebdrucke und Objektarbeiten, kombiniert mit Wandelementen – auch in der Gattung und den verwendeten Arbeitstechniken ist Salla Kuhmo also mit Blick auf die Ausstellung im Galerienhaus 2010 konsequent geblieben. Die Werke kreisen um drei miteinander in unmittelbarem Zusammenhang stehende Erscheinungen, die sich thematisch wie ein roter Faden durch Salla Kuhmos Gesamtwerk ziehen, wobei sie in ganz verschiedenen Facetten auftauchen können: Jagd – Beute – Throphäe. Für die Begegnung mit ihrer Kunst lohnt es sich, über diese drei Begriffe und die damit verknüpften Bedeutungen kurz nachzudenken. Die folgenden Überlegungen möchten hierfür einen kleinen Impuls geben; sie erheben nicht den Anspruch auf Vollständigkeit oder gar einer etymologisch-wissenschaftlichen Definition.
Jagd > bezeichnet in erster Bedeutung eine Betätigung von Lebewesen, um das eigene Überleben zu gewährleisten, d. h. es ist eine aus der Notwendigkeit betriebene, existenzielle Betätigung. Der Raum, in dem sie sich vollzieht, ist die Natur. Da wir Menschen inzwischen überwiegend andere, weniger aufwändige und gefährliche Formen der Nahrungsbeschaffung gefunden und gewählt haben, wird Jagd heute vornehmlich als ein Sport oder Hobby begriffen. Außerdem wird der Begriff als Metapher gebraucht für eine Suche nach Dingen, die für uns im Regelfall nicht existenziell sind, aber von uns begehrt werden. Diese Form der Jagd ist meist vom Naturraum gelöst.
Beute > bezeichnet das Erjagte; kann real oder metaphorisch beschaffen sein.
Trophäe > ist ein Siegeszeichen, häufig der Teil einer Beute. In verschiedenen Abwandlungen lässt sich dieses Phänomen in fast allen menschlichen Kulturen antreffen, was insofern schlüssig erscheinen mag, dass die Jagd bis heute mit hohen, gar lebensbedrohlichen Risiken verbunden sein kann.
Salla Kuhmo hat als Kind in Finnland selbst gejagt; sie kennt die verschiedenen Dimensionen, die dieser Begriff umfasst. In ihrer Kunst begreift
sie das Phänomen Jagd sowohl im eigentlichen als auch im metaphorischen Sinn und verschränkt beide Ebenen miteinander.
Konsumgüter und Markensiegel, insbesondere aus dem Bereich des Highend-Designs, werden als Jagdobjekte, als Beute und als Trophäe gesetzt und inszeniert. Dies geschieht teilweise ganz konkret: In ihrer Werkgruppe der Trophäen platziert Salla Kuhmo einen Schuh auf einem Trophäenschild – d. h. auf einer spezifisch für ein Signum geformten Unterlage, die meist aus
Holz gemacht und schildförmig zugeschnitten ist – und lässt ein echtes Geweih daraus hervorschauen. Diese Installation wird im Folgenden mit Farbe künstlerisch weiter bearbeitet. Somit erfährt der Schuh, als Symbol für begehrte Hochglanz-Objekte, inhaltlich eine ironisch-spielerische, aber gleichermaßen radikale Brechung.
Die reale und die mediale Inszenierung derartiger Konsumobjekte in Boutiques, Werbung oder Sozialen Medien wird von Salla Kuhmo zu Teilen zitiert, zu Teilen aber auch überformt, fast schon karikiert. Auf diese Weise entlarvt sie diese Inszenierungsstrategien in ihrer Absurdität und Künstlichkeit. Als Mittel dienen ihr Collageelemente – z. B. ausgeschnittene Schriftzüge aus Einkaufstüten – , die sie auf ihre Objekte appliziert; von Hand in den Siebdruck übertragene fotografische Motive, die sie selbst aufgenommen hat; ihre Farbwahl; unterschiedliche Techniken des Farbauftrags sowie die Formgebung der Arbeiten. Das Ergebnis ist eine sehr charakteristische Werkästhetik mit – und hier kommt erneut Andy Warhol ins Spiel – hohem Wiedererkennungswert.
Anders als bei Warhols Werken aber ist die Botschaft von Salla Kuhmos Arbeiten nicht bewusst ambivalent gehalten und offen. Es handelt sich um eine eindeutig kritische Auseinandersetzung mit dem westlichen Konsumkosmos und unserem Konsumverhalten.
In vielen der jüngst entstandenen Arbeiten, die hier in der Ausstellung gezeigt sind, wird insbesondere das Phänomen des Markenkults als ein höchst komplexes Gebilde aus Werbestrategien, Konsumverhalten und Prozessen der individuellen Selbstdefinition hinterfragt. Ferner thematisieren sie das in Konsequenz daraus erwachsene Phänomen Fake, d. h. das nachgemachte, auch für eine breite Masse erschwingliche Produkt, das auf den ersten Blick nicht vom Markenoriginal unterscheidbar erscheint. Salla Kuhmo empfindet beide Phänomene als befremdlich. Ein prägnantes Beispiel hierfür ist, dass sie aus einem geschenkten Paar Prada-Schuhe die Idee für ihre ersten Trophäen entwickelt hat, da sie die Schuhe „total scheußlich“ fand und in keinem Fall nur deshalb tragen wollte, weil sie von einer begehrten Designmarke stammten.
Als Antwort auf das Verhalten der Marken hat sie mit dem Mooseler ihr eigenes Signum entwickelt, das in vielen ihrer Kunstwerken auftaucht: Die
Silhouette eines Hirsches, der ein Jagdgewehr in den Händen hält und so die Rollen von Jagenden und Gejagten verkehrt und zur Diskussion stellt. Der Mooseler ist ein gutes Beispiel dafür, dass Salla Kuhmos Kunst einerseits sehr direkt und kompromisslos provokant sein kann, aber auch geheimnisvoll,
mehrdeutig und rätselhaft. Von unterschiedlichen Blickpunkten aus spricht sie mehrere zentrale Fragen der westlichen Lebenskultur an und möchte so mittels ihrer Kunst zu einer kritischen
Auseinandersetzung mit Konsum, Natur und nun auch künstlicher Intelligenz anregen. Trotzdem definiert sich ihre Kunst auch immer durch Humor und feine Ironie, was die Begegnung mit den Werken
besonders vergnüglich macht.
Dr. Bettina Kunz,
Kunsthistorikerin,
Februar 2024